lateinamerikanische boom

Barcelona: auf den Spuren der größten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts

Mario Vargas Llosa war eigentlich nur auf der Durchreise, auf dem Weg nach Madrid, als er zum ersten Mal nach Barcelona kam. Nach einem Spaziergang durch die engen Gassen des gotischen Viertels ging ihm die katalanische Hauptstadt nicht mehr aus dem Kopf. Der peruanische Autor war so begeistert von ihr, dass er sich Jahre später hier niederließ. Er war nicht der einzige: Heute spricht man über die 1960er und 1970er Jahre in Barcelona als den lateinamerikanischen Boom. Die Stadt wurde zur Herberge und Inspirationsquelle der bedeutendsten lateinamerikanischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. Hier lebten der Argentinier Julio Cortázar, der Literaturnobelpreisträger Gabriel García Márquez oder auch der Mexikaner Carlos Fuentes. Sie alle einte die Idee mit den Konventionen der lateinamerikanischen Literatur zu brechen. Ihre Werke sind experimentell, fantastisch und in Zeiten des Kalten Krieges, der sich durch die Konflikte zwischen Kuba und den Vereinigten Staaten auch in Lateinamerika bemerkbar machte, politisch und sozial kritisch.

Bis auf Mario Vargas Llosa kann man keinen der Schriftsteller des lateinamerikanischen Booms mehr fragen, was für sie Barcelona so besonders machte. Immerhin weiß man aber noch, wo sie sich in der katalanischen Stadt zu Lebzeiten gerne aufhielten oder welche Orte sie inspirierten. Durch die Augen der lateinamerikanischen Schriftsteller bekommt Barcelona nochmal einen ganz anderen Blickwinkel, ein bisschen dunkler vielleicht, gesellschaftlich, aber vor allem hoffnungsvoll.

In diesem Artikel erfährst du mehr über die bedeutendsten lateinamerikanischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts und wo sie sich in Barcelona am liebsten aufhielten.

Der lateinamerikanische Boom

Restaurant Glaciar - Gabriel García Márquez

Es war sein erster Abend in Barcelona als Gabriel García Márquez im Restaurant Glaciar zu Abend aß. Direkt am romantischen Plaza Reial gelegen, war es der ideale Ort, um die besondere Atmosphäre der Stadt aufzusaugen. Für „Gabo“, wie der Schriftsteller in Spanien und Lateinamerika genannt wird, war es der Beginn seines siebenjährigen Aufenthaltes in Barcelona und seines Wandels von einem armen Mann zu einem der erfolgreichsten Autoren seiner Zeit. Hier tauschte er sich mit den anderen Künstlern und Autoren aus, die genug hatten vom Faschismus und sich in Barcelona, nah an Frankreich, verbunden fühlten mit dem fortschrittlichen Europa. Es war eine Zeit des Aufbruchs auf dem alten Kontinent, die Márquez inspirierte und mitriss. Noch heute kann man zwischen den Bögen des Platzes Reial mitten im gotischen Viertel bei einem Kaffee im  Restaurant Glaciar die „Nostalgie der Nostalgie“ fühlen, wie der Literaturnobelpreisträger das Flair zu seiner Zeit in Barcelona beschrieb.

Restaurant Los Caracoles - Mario Vargas Llosa

Unweit der bekannten Rambla liegt, ebenfalls im gotischen Viertel, das Restaurant Los Caracoles. 1835 eröffnet, begibt man sich an einem seiner Tische auf eine Reise in die Vergangenheit. Seit jeher ist Los Caracoles ein beliebter Ort von Künstlern. Auch der peruanische Literaturnobelpreisträger Mario Vargas Llosa traf sich hier gern mit anderen Intellektuellen seiner Zeit. Benannt nach seinem Sternegericht Caracoles (Schnecken), kann man sich hier noch immer zwischen großen Gemälden und Bildern von Berühmtheiten wie Lenny Kravitz, Robert De Niro oder Jimmy Carter, die hier schon zu Abend aßen, durch die typisch katalanische Küche probieren. Vargas Llosa kam während seines vierjährigen Aufenthaltes in Barcelona oft hierher. Gabriel García Márquez wurde zu einem guten Freund des Peruaners und während sie sich gegenseitig inspirierten, war es auch das Ambiente Barcelonas wie im Restaurant Los Caracoles, das sie zum Schreiben inspirierte. „Es waren sehr fruchtbare Jahre, geprägt von Kamaderie und Freundschaft. […] Es war ein Klima der Hoffnung, der Sicherheit, dass die Diktatur bald enden würde, […] und dass nicht nur das kommende Spanien frei sein, sondern die Kultur und Literatur eine zentrale Rolle spielen würde. Die Öffnung, insbesondere die kulturelle, fand in Barcelona statt“, beschreibt der heute 86-jährige Peruaner das Gefühl dieser Zeit.

Das Restaurant Los Caracoles kann man sowohl privat als auch bei einer geführten Tour mit Mittag- oder Abendessen erleben.

Bar Pastís - Julio Cortázar

Im Viertel Raval fühlt sich in der Bar Pastís seit 1947 die Nacht ein wenig kürzer an. Während seiner zwei Jahre in Barcelona kam der Argentinier Julio Cortázar gern hierher und diskutierte zusammen mit anderen Autoren des Booms an dem schmalen Tresen der kleinen Bar. Auch nach seinem Umzug nach Paris blieb der Autor des Buches Rayuela der katalanischen Stadt eng verbunden und kam oft hierher, um in den Restaurants und Bars wie Pastís die Abende und Nächte zu verbringen und Inspiration zu suchen.

Bereits mit zwei Jahren hatte der Autor für kurze Zeit in der Stadt gelebt und war mit seinen Eltern jeden Tag im Park Güell spazieren. „Ich habe verschwommene Erinnerungen … und fragte meine Mutter: Manchmal sehe ich merkwürdige Formen, Farben … Was könnte das sein? Sie antwortete mir, dass das nur aus meiner Zeit in Barcelona stammen könnte, als sie mich jeden Tag in den Park Güell brachte, damit ich dort mit anderen Kindern spielte“, erzählte er in einem Interview. Bereits aus dieser Zeit stammt seine Bewunderung für den bekanntesten Künstler Barcelonas Gaudí, der den Park entworfen hatte.

In der Bar Pastís kann man noch heute wie Cortázar einen Wein am Tresen trinken und der Musik einer der vielen Live-Konzerte lauschen, die das Lokal regelmäßig veranstaltet.

Casa Leopoldo - einer der bedeutendsten Orte der Literaturszene Barcelonas

Noch eins von den legendären Lokalen, die sich in die Liste derer einreiht, die von Künstlern und Intellektuellen, vor allem während des sogenannten lateinamerikanischen Booms, am liebsten besucht wurden. Das nach dem Gründer Leopoldo Gil benannte Restaurant wurde 1929 zu Zeiten der Weltausstellung in Barcelona eröffnet. Dank des spanischen Schriftstellers Manuel Vázquez Montalbán, der das Haus zum Lieblingsrestaurant seines Protagonisten machte, wurde das Traditionslokal weit bekannt und beherbergte in den 1970er Jahren literarische Diskussionsrunden. Damals wie heute werden Gerichte aus der katalanischen Küche serviert während die Einrichtung mit dunkelbraunen Holzstühlen, weißen Tischdecken und gefliesten Wänden noch immer das gleiche Flair wie zu Zeiten der literarischen Stammtische versprüht. Das Casa Leopoldo ist für die Literaturszene Barcelonas so bedeutend, dass das Restaurant seit kurzem einen Literaturpreis verleiht. Der ideale Ort also, um das literarische Barcelona besser zu verstehen.

Café Centric - Roberto Bolaño

Zwar kann er nicht mehr im strengeren Sinne zu der Strömung des lateinamerikanischen Booms der 1960er und 1970er Jahre gezählt werden, trotzdem befand sich auch der chilenische Schriftsteller Roberto Bolaño nach Ende der Franco-Diktatur in der katalanischen Hauptstadt und ließ sich von der neuen Freiheit, die diese Zeit prägte, inspirieren. Das Café Centric war dabei eines seiner bedeutendsten Inspirationsquellen. Es liegt direkt neben „diese[m] Appartement ohne Dusche und mit Latrine auf dem Flur“, in dem nicht nur der Protagonist Felipe Müller aus dem Buch Bolaños „Die wilden Detektive“ lebte, sondern auch der Autor selbst. In der Carrer de Tallers 45 wohnte er auf bescheidenen 15 Quadratmetern und verbrachte deshalb viel Zeit im angrenzenden Café Centric. Mittlerweile wurde das Lokal renoviert, doch noch immer ähnelt es dem Zufluchtsort Bolaños der 1970er Jahre. Viele Bilder hängen heute an den Wänden, ein Foto von einem der bedeutendsten spanischsprachigen Schriftsteller der letzten 25 Jahre sucht man vergeblich.

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