Bous a la Mar – Stier gegen Hobby-Torero

stier bei bous a la mar in dénia

„Kein Platz mehr, sorry. Die Ticketausgabe wurde eben geschlossen“, sagt der schlanke Mann mittleren Alters ohne mich eines Blickes zu würdigen. Dann eben nicht. Ich blicke hoch zur hölzernen Tribüne, die provisorisch für die Fiestas in Dénia direkt am Hafen aufgebaut wurden. Dicht drängen sich die Menschen auf die unbequem aussehenden Bänke. Frauen fächern sich mit kunstvoll bemalten Stofffächern die schwüle Luft ins Gesicht. Kinder sitzen gespannt auf dem Boden und nagen an ihren Fingernägeln. Junge Touristen schieben sich salzige Flips in den Mund und starren gebannt auf die Arena vor ihnen.

In einer der Städte mit den meisten Festen in ganz Spanien hat die größte Fiesta des Jahres begonnen. 10 Tage lang geht es in Dénia an der Costa Blanca darum, eine gute Zeit zu haben. Durch die Straßen der Küstenstadt werden sich Umzüge mit prachtvollen Wagen und glitzernden Kostümen schieben, Sportwettkämpfe abgehalten, getanzt, getrunken und Musik gemacht und gehört. Ein Programm, das herumgebaut wurde um die eigentliche Hauptattraktion dieser Tage: die Bous a la Mar.

„Bous a la Mar“ ist valencianisch und heißt so viel wie „Stier ins Meer“. Die Attraktion, die das Meer in den Stierkampf mit einbezieht und bei der es darum geht, sich ein bisschen von dem Stier jagen zu lassen und sich, wenn nötig, ins sichere Hafenbecken zu retten, gibt es in dieser Form mittlerweile nur noch in der Autonomen Gemeinde Valencia. Denn auch wenn die Stiere bei dieser Art Spektakel nicht verletzt oder gar getötet werden, geraten sie dennoch in der Arena mit Öffnung zum Meer stark unter Stress und können durch ihn oder die Hitze im Juli an einem Herzinfarkt ums Leben kommen. In diesem Jahr ertrank sogar ein Tier, nachdem es hinter den Hobby-Toreros, die sich trauten sich dem Jungstier entgegen zu stellen, ins Wasser sprang und nicht rechtzeitig gerettet werden konnte.

Mit gemischten Gefühlen stehe ich vor den dicken Eisenstäben unterhalb der Ränge der Holztribüne und blinzele durch die schwitzenden Körper hindurch auf das ebenfalls schweißnasse Tier in der Mitte der Arena. Mein Schwiegervater winkt mit der Hand und bedeutet mir zu folgen. Er möchte mir eine Tradition seines Landes zeigen, an der er als junger Mann selbst gern teilnahm und die ihn heute mehr abstößt als das sie ihn noch fasziniert. Ich werfe einen letzten Blick auf die dicken massiven Eisenstangen und zwänge mich durch sie hindurch in das dunklere Innere der Arena.

Nun trennen mich von der schwarz Kuh, die mit ihren beeindruckenden Hörnern in der Mitte des sandigen Rondells mit gesenktem Kopf auf die Badehose tragenden Hobby-Toreros zurennt nur noch eine Linie aus Eisenstangen. Auch durch sie könnte ich jederzeit hindurch schlüpfen, wollte ich mein Herz in der Lautstärke eines Düsenjets in mir Klopfen hören und versuchen, gewitzter zu sein als das wie von der Tarantel gestochene Tier. Doch ich ziehe es vor im Schutz der Arena die Männer mit Goldkettchen und Turnschuhe zu beobachten, wie sie versuchen mit Fahnen oder Poolnudeln die Aufmerksamkeit des Stiers auf sich zu richten.

Es riecht nach Joints und billigem Aftershave. Immer mehr großflächige Tattoos auf Waden, Armen und Rücken, die die Liebe des Tätowierten für Stierkämpfe verdeutlichen, fallen mir auf. Ich frage mich, ob die Tiere wohl von sich aus so aggressiv sind oder ob sie ähnlich wie Kampfhunde auf die anrasierten Hinterköpfe und schwarz-weißen Körper abgerichtet werden und nehme mir vor, das später nachzulesen.

Mein Blick fällt auf einen älteren Mann, der mit seinem Hut und seinem karierten Hemd so gar nicht zu dem restlichen Publikum hier unten zu passen scheint. Ich schätze ihn auf an die 90 Jahre. Eine junge Frau steht etwas weiter weg von mir und schaut begeistert zu dem gehetzten Tier vor ihr. Die weiße kurze Hose und das enge, ebenfalls weiße T-Shirt kleben dicht an ihrem runden Körper. Auf ihrer Wade prangt ein Stier, ähnlich wie der aus der Arena. Wie kann man sich so sehr für eine so fragwürdige Tradition begeistern, dass man sich dazu entschließt, sie auf seiner Haut zu verewigen?

Plötzlich tippt mich ein Mann an, der mich mit meiner Kamera und meinem Blick aus Faszination und Abscheu beobachtet hat, an und zeigt mir ein Video, dass er an ungefähr der gleichen Stelle an der ich heute stehe, einige Tage zuvor aufgenommen hat. Zu sehen ist ein Jugendlicher mit langen Beinen und Badehose, der sich zwischen Mut und Waghalsigkeit für letzteres entschieden hatte. Zu dicht läuft er an der wütenden Kuh vorbei und wird von ihr auf die Hörner genommen. Sie schmeißt ihn durch die Luft wie einen Spielball. Als er auf dem Boden landet, nimmt sie sich ihn gleich wieder vor, bis er sich hinter die Eisenstäbe retten kann. Ich muss an meine Katze denken, wenn sie ihre gefangene Maus vor sich in die Luft schmiss. Immer wieder, bis sie irgendwann aufhörte zu piepen. Es muss das Adrenalin und die greifbare Gefahr sein, die die Menschen bei dieser Art Spektakel fasziniert. Zwischen Angst und Überlegenheit fühlt man sich vor allem lebendig.

Das Jungtier in der Arena wird immer müder. Die eingängige Energie ist einer flachen Atmung mit offenem Maul gewichen. Ihre Flanken bewegen sich hektisch auf und ab. Obwohl sie immer wieder versucht, die Männer vor sich ins Wasser des Hafenbeckens zu treiben, gelingt es ihr nur noch selten. Endlich ertönt der erlösende Gong und die schmale Metalltür zum Rondell öffnet sich. Eine Kuh wird am Halfter hereingeführt. Sie soll dem gestressten Tier der Arena den Weg hinaus zeigen. Alle jubeln. Für einen Moment wird es lauter und die Gemüter entspannen sich, bevor der nächste Stier zwischen auf den Platz gescheucht wird und ein neuer Kampf zwischen gestresster Kuh und Badehosenträgern beginnt.

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