Die Luft ist noch heiß an diesem Abend Ende Juni. Etwas feierliches liegt in der Luft. Der historische, grün-weiß gestrichene Marktplatz des kleinen Ortes ist wuselig. Überall sitzen und stehen Menschen, essen die hier so beliebte Aubergine Berenjena de Almagro und viele von ihnen haben sich etwas elegantes angezogen, während sie über das, was sie gleich sehen werden, bereits fachsimpeln. Jedes Jahr zwischen Ende Juni und Anfang Juli verwandelt sich die Kleinstadt Almagro in Kastilien-La Mancha in eine einzige riesige Bühne. Theaterensembles aus der ganzen Welt finden ihren Weg in das 8000-Einwohner-Dorf, um ihr Können in klassischen Theaterstücken, vormals aus der spanischen Barockzeit, dem Siglo de Oro, zu präsentieren. 2023 werden bereits zum 46. Mal die mittlerweile 15 Bühnen der Stadt für das bedeutendste Theaterfestival Spaniens vorbereitet.
Almagro und das Barocktheater
Natürlich ist es kein Zufall, dass das weltweit bedeutendste Theaterfestival des klassischen, spanischen Theaters in Almagro stattfindet. Mitten auf dem historischen Marktplatz der Stadt befindet sich hinter einer dunklen Holztür der Grund für das alljährliche Spektakel im Juli: der Corral de Comedias. 1950 wiederentdeckt, konnte nach Bauarbeiten ein fast vollständig intaktes Theater aus der spanischen Barockzeit freigelegt werden. Es stammt von 1628, also einer Zeit, in der Spanien politisch weltweit eine große Bedeutung hatte und in der die Kunst und Kultur des Landes nur so florierte. Heute gehört jenes Theater mit seinen zwei Galerien zu beiden Seiten und der kleinen Bühne zu den besterhaltenen Spaniens. Die Theaterkunst spielte daher seit der Barockzeit eine bedeutende Rolle in der Kleinstadt La Manchas. Eine Rolle, die der damalige Generaldirektor des Theaters vom spanischen Kulturministerium Rafael Pérez Sierra 1978 wiederbeleben wollte. Er war es, der das internationale Theaterfestival, das zu Beginn ausschließlich im Corral de Comedias stattfand, ins Leben rief.
Das Internationale Theaterfestival in Almagro
Seitdem ist das Projekt stetig gewachsen. 1980 wurden bereits erstmals einige der Aufführungen nicht im historischen Theater Corral de Comedias präsentiert, sondern andere Locations in Almagro genutzt. Als dann ein Jahr später der 300-jährige Todestag des Dramaturgen und Schriftstellers Pedro Calderón de la Barca (er gilt als der letzte Kunstschaffende des spanischen Siglo de Oro) innerhalb des Theaterfestivals feierlich begangen wurde, stieg das Interesse Zusehens. In den folgenden Jahren entstand ein Theaterensemble, dass sich ausschließlich Stücken des Siglo de Oro widmete und Almagro bekommt ein nationales Theatermuseum, dass sich seither mit der Geschichte und Aktualität des spanischen Theaters auseinandersetzt.
Mittlerweile kommen jedes Jahr mehr als 50.000 Menschen nach Almagro, um die besondere Atmosphäre während des Theaterfestivals, die herausragenden Aufführungen in einzigartigen Räumlichkeiten und die angebotenen Workshops, Ausstellungen und Diskussionen wahrzunehmen. Ziel der Festivalbetreiber ist es das klassische Theater des Barocks wiederzuentdecken, zu zeigen und zu aktualisieren und der Theaterkunst den Raum zu geben, die es verdient.
In diesem Jahr findet das Festival vom 29. Juni bis zum 23. Juli 2023 statt. Insgesamt 7 Bühnen geben über 30 unterschiedlichen Theaterstücken Raum, die von sowohl spanischen als auch südamerikanischen und französische Ensembles inszeniert werden. Natürlich ist das historische Theater Corral de Comedias einer der Hauptorte, aber auch im Stadttheater, auf dem alten Marktplatz und in Kirchen finden Aufführungen statt. Neben Theaterstücken für Erwachsene, gibt es auch Inszenierungen für die Kleinsten, Tanzaufführungen, Zirkus, Ausstellungen und Konzerte. Das vollständige Programm kannst Du hier einsehen.
Die Bedeutung des Festivals für Almagro und die Theaterkunst
Immer neue Bühnen und Räumlichkeiten entstehen, in Almagro befindet sich das nationale Theatermuseum und im ganzen Land ist die Kleinstadt in der Weite der Mancha für das Theater bekannt. Bei jährlichen mehr als 50.000 Zuschauern während des Theaterfestivals in Almagro ist klar, dass der Juli für die Anwohner des Ortes, die kleinen Geschäfte, Restaurants und Unterkünfte der wichtigste Monat des ganzen Jahres ist. Während in den restlichen Teilen Zentralspaniens im Sommer aufgrund der brütenden Hitze gähnende Leere herrscht, hat das Festival für Almagro große wirtschaftliche Auswirkungen. 25-30 % mehr Einwohner hat der Ort in diesem Monat, die so viel Geld hierher spülen, dass manche touristischen Unterkünfte nur während dieser Zeit des Jahres öffnen. Geschäfte und Restaurants verdoppeln ihren Umsatz zwischen Ende Juni und Anfang Juli und können immerhin für diesen Monat mehr Personal einstellen. Das Theaterfestival ist unersetzlich geworden für die Kleinstadt, die zwar einige historische Sehenswürdigkeiten zu bieten hat, dennoch fast ausschließlich von einheimischen Touristen während der restlichen Zeit des Jahres besucht wird. Für die meisten internationalen Reisenden liegt das große Kastilien-La Mancha zu weit entfernt vom Meer und den prominentesten Bergen Spaniens. Das Theaterfestival hat es geschafft, diesen Umstand zumindest zwischen Ende Juni und Anfang Juli zu ändern.
Almagro, aber auch ganz Spanien ist stolz auf das Event, das sich von einer Veranstaltung mit lokaler Reichweite zu einem Ereignis mit internationalem Publikum und Theaterensembles gemausert hat. Mittlerweile verleiht es nicht nur Preise an bedeutende Schauspieler und Theater (die Schaubühne von Berlin wurde beispielsweise bereits geehrt), sondern gilt auch als das wichtigste Theaterfestival über das klassische Theater weltweit.
Ein Besuch in Almagro lohnt sich, so oder so. Schließlich gilt es als einer der schönsten Dörfer Spaniens und steht auf der Liste Los pueblos más bonitos de España. Warum also nicht zum Theaterfestival dem kleinen Ort einen Besuch abstatten und Almagro in seiner Einzigartigkeit kennenlernen.