Eisig sticht das weiße Bergmassiv aus den grünen Tannenwäldern heraus. Imposant ist es von dem kleinen Weiler Torla-Ordesa aus sichtbar. Es ist das erste Mal, dass sich der beeindruckende Berg Mondarruego in diesem Jahr im Schneefrack zeigt. Die Tage zuvor, lag er in dicke Wolken gehüllt als wollte er sich wärmen für die bevorstehende Jahreszeit.
Jetzt verstehe ich sofort, warum die Menschen, denen ich von meiner Reise ins Tal Valle de Ordesa erzählte, leuchtende Augen bekamen. Zu jeder Jahreszeit ist das üppig bewachsene Tal mit dem dahinter aufragenden Berg Mondarruego ein Augenschmaus. Doch speziell jetzt im Herbst scheint das weiche Sonnenlicht die Natur im Valle de Ordesa noch ein bisschen mehr zu verzaubern. Die Laubbäume leuchten in den schönsten Farben, der Tafelberg glänzt mit seinem ersten Schnee jungfräulich weiß und der Fluss Ara zeigt sich in einem Türkis, das blendet.
Die Scheiben in meiner Unterkunft sind beschlagen als ich die dicken Holzverschläge öffne. Endlich lassen sich die Temperaturen nieder, auf die hier im Ort schon so lange gewartet wurde. Es sind die, die im November in den Pyrenäen längst überfällig waren. Der elfte Monat des Jahres ist für die 300 Einwohner in Torla und auch in den angrenzenden Weilern der Monat der Vorbereitung auf die Wintersaison. Einige der kleinen Läden im Ort sind geschlossen, viele Restaurants öffnen jetzt nur am Wochenende. Eine friedliche Ruhe durchzieht das Valle de Ordesa, eines der schönsten Täler in den spanischen Pyrenäen. Nur der Fluss Ara rauscht in atemberaubender Lautstärke das Tal hinab gen Aínsa und transportiert das eisblaue Wasser der zig Wasserfälle vom Berg hinunter. Mit seinen endlosen Stromschnellen eignet er sich perfekt zum Rafting.
Jetzt, wo die Touristen abgereist sind und dem Nationalpark Ordesa und Monte Perdido eine kleine Atempause gönnen, sind die Chefinnen im Tal wieder die Kühe. Mit ihrem dunkelbraunen Fell und der hellen Partie um das Maul, sehen sie aus wie aus einem Werbespot für Schweizer Schokolade. Jede von ihnen trägt eine Glocke, damit sie bei ihren Streifzügen durch die Wälder und Berge nicht verloren gehen. Seit Jahrhunderten gehört diesen Damen das Terrain. Auch deshalb ist der Nationalpark an der Grenze zu Frankreich und darüber hinaus seit 1997 Weltkultur- und Naturerbe der UNESCO. Die Kühe verbringen den Frühling und Herbst auf den Bergwiesen sowohl dies- als auch jenseits der Grenze und halten dadurch die in Europa so selten gewordene, traditionelle Almwirtschaft aufrecht. Zusammen mit der geologischen Einzigartigkeit, schließlich ist der Monte Perdido (zu Deutsch: verlorener Berg) der höchste Kalksteinberg Europas, und der Schönheit der Region, stufte das Komitee der UNESCO diesen Ort als besonders schützenswert ein.
Torla-Ordesa: Idealer Ausgangspunkt um den Nationalpark Ordesa und Monte Perdido zu entdecken
Guter Ausgangspunkt für die Erholung und die Erkundung im Valle de Ordesa ist der Ort Torla-Ordesa. Einst vermutlich im Mittelalter von Hirten gegründet, lebt das kleine 300-Einwohner-Dorf heute vom Tourismus. Hier gibt es einige gemütliche Betten und auch Restaurants, die sowohl ausgehungerte Wanderer als auch den feinen Gaumen begeistern. Über die Sommermonate fährt von hier ein öffentlicher Bus ab, der Wanderer bis nach oben zum Nationalpark bringt. Jetzt macht auch er eine wohlverdiente Pause und ich muss den eigenen Wagen nehmen, um mir den imposanten Berg, den ich aus meinem Schlafzimmerfenster sehe, aus der Nähe zu betrachten. Mir kommt das gelegen, schließlich will ich mir auch das Tal Valle de Bujaruelo ansehen, das links von dem schneebedeckten Tafelberg beginnt.
Valle de Bujaruelo
Mehr als eine halbe Stunde fährt man am Fluss Ara entlang durch gelbe, rot und orange gefärbte Bäume, bis man die Hütte Refugio Bujaruelo erreicht. Sie ist die letzte mittelalterliche Schutzhütte, die es in den aragonischen Pyrenäen noch gibt. Das kleine Haus bietet Schutz und Übernachtung für Wanderer und serviert Gerichte mit Produkten aus der Region. Solltest du deinen Camper dabei haben, kannst du hier auch auf einem kleinen Campingplatz übernachten. Hinter der Schutzhütte führt eine römische, steinerne Brücke über den eisblauen Fluss und gibt so Möglichkeit in die verschiedenen Wanderwege, die hier entlang gehen, einzusteigen. Sie stammt aus dem 13. Jahrhundert und ermöglichte den Warenaustausch zwischen Frankreich und Spanien in dieser Region. Einige der Wanderwege, die du hier beginnen kannst, findest du auf dem Blog des Refugio mit Links zu den Karten auf Wikiloc. Aber auch wenn du nicht wandern möchtest, ist das Valle de Bujaruelo ein Muss! Das Tal gilt als eines der schönsten in den Pyrenäen – mit Worten ist diese Schönheit nur schwer zu beschreiben.
Valle de Ordesa
Streng genommen nennt sich nicht das ganze Tal vor dem Berg Mondarruego Valle de Ordesa. Stattdessen verläuft dieses quer vor dem Berg und anderen bis über 3000 Meter hohe Gipfel wie den Gabieto oder den Taillón. Das Tal erlaubt uns den Zugang zum Nationalpark Ordesa y Monte Perdido, den Einstieg zu diversen Wanderrouten und wunderschöne Aussichtspunkte über den Fluss Arazas und seine zig Wasserfälle. Nach einer etwa 20-minütigen Fahrt erreichst du den Parkplatz im Park, an dem es eine kleine Bar und auch ein Infozentrum gibt, in dem du dich über Wanderwege und Wetterbedingungen informieren kannst. Vom Parkplatz aus startet einer der bekanntesten und schönsten Wanderwege der Pyrenäen, der Cola de Caballo (Pferdeschweif). Entlang des Flusses Arazas, wird einem von steilen Wasserfällen über durch Gletscher geformte Felswände und üppige Wiesen alles geboten, was das Valle de Ordesa so besonders macht. Die Wanderung dauert insgesamt etwa 5.30h und hat eine Länge von 17,5 km. Ein absolutes Muss im Nationalpark Ordesa y Monte Perdido.
Historischer Wanderweg: La Ruta de los Hospitalarios
Dieser malerische Wanderweg wurde mir sofort empfohlen, als ich mich in Torla nach einfachen und schönen Routen erkundigte. Der Weg führt vom Refugio Bujaruelo am Fluss Ara entlang bis nach Oto. Entstanden ist er durch den religiösen Orden San Juan de Jersualén, die sich im 12. Jahrhundert in Oto niederließen, um von dort aus Pilgerer zu versorgen, die über Frankreich nach Spanien wanderten. Sie waren es übrigens auch, die die Schutzhütte Refugio Bujaruelo erbauten sowie die kleine Kirche im Weiler Oto. Der Wanderweg ist ca. 11 Kilometer lang und durchquert Torla, während er sich kaum vom Fluss Ara entfernt. Da es sich um keine Rundtour handelt, muss man den Weg entweder vollständig hin und zurück laufen, oder aber man läuft ein Teilstück, wie zum Beispiel von Oto nach Torla oder vom Refugio bis nach Torla.
Regionale Küche und typische Gerichte in den aragonischen Pyrenäen
Wie sollte es anders sein, mitten in den Pyrenäen sind die Gerichte herausragend, die eben in die Berge gehören und das sind Rezepte mit Rindfleisch oder Lamm. Solltest du das gerne essen, empfehle ich dir Chuletas oder Costillas de Ternasco de Aragón zu probieren, also Koteletts oder Rippchen vom Milchlamm. Typisch sind hier zur Herbstzeit natürlich auch verschiedene Pilzgerichte und der Käse ist hier überall einfach köstlich. Der findet natürlich auch seinen Weg in die besten Nachtische der Region. Probiere dich am besten durch Käsekuchen, Ricotta-Varianten und Joghurtzubereitungen. Im Valle de Ordesa kann man wirklich gut essen.