Vergangenheit ohne Infotafeln – das Valle de los Caídos

Schon mit dem Namen geht das Problem los: Jeder kennt das majestätisch aufragende Kreuz, das aus der Bergkette Sierra de Guadarrama heraussticht, unter der Bezeichnung Valle de los Caídos – das Tal der Gefallenen. Ein Name, den Franco einst passend fand, für sein über 19 Jahre lang gebautes Monument. Eigentlich aber heißt das Tal Valle de Cuelgamuros, sein geographischer Name, und ebenso soll es nun seit Oktober 2022 wieder genannt werden. Das hat die regierende, sozialdemokratische Partei PSOE unter Pedro Sánchez beschlossen. Sie wollen endlich aufräumen mit der Vergangenheit. Worte finden für das, was vor und während der Diktatur in Spanien passiert ist.

Meistens scheint die Sonne in das weitläufige Tal Cuelgamuros und taucht das größte freistehende Kreuz der Welt in ein warmes Licht. Auch heute versucht sie vergeblich den dunklen Ort der spanischen Geschichte lichter erscheinen zu lassen. Der weitläufige Platz unterhalb des Kreuzes ist menschenleer. Selbst wenn zig Reisebusse sich über den langen bewaldeten Weg nach oben schlängeln und ihren Inhalt auf den Parkplatz ergießen, merkt man davon wenig. So groß ist das Anwesen, auf dem der Diktator Francisco Franco von 1940 bis zur Einweihung 1959 seinen überdimensionierten Plan umsetzen ließ. Gerade erst hatte er zusammen mit der faschistischen Partei Falange den Bürgerkrieg gewonnen. Nun begann Franco damit ganz Spanien mit Kreuzen des Sieges zu füllen. Das Valle de los Caídos sollte das größte werden. Ein Ort zum Gedenken an seinen Sieg und an all jene Soldaten, die ihm dazu verholfen hatten. Vielleicht, darüber wird noch immer spekuliert, wollte er sich auch selbst ein Mausoleum schaffen. Ganz sicher ist es jedenfalls ein Monument für den Faschismus.

Größtes freistehendes Kreuz der Welt

152 Meter ist das Kreuz hoch. Seine Flügel sind so breit, dass in ihnen zwei Autos aneinander vorbeifahren können, ohne sich zu streifen. Bewacht wird es von Figuren, die so groß sind, dass ein Mensch neben ihnen winzig erscheint. Die Konstruktion mit der Franco den Himmel erreichen wollte, steht gebaut auf einem Felsen, in den eine künstliche Höhle geschlagen wurde. In ihr befindet sich eine Basilika, größer als die des Vatikans. 260 Meter lang ist dieser religiöse, mit Marmor ausgekleidete Tunnel, in dem in seitlich davon abgehenden Kapellen hinter verschlossenen Türen die Überreste von knapp 34.000 Menschen liegen. Es sind Gefallene, Getötete, Rechte und Linke, die hier ihre letzte Ruhe finden. Immerhin 27.000 von ihnen sind mit Namen identifiziert. Ihre Angehörigen können an diesen Ort kommen und um sie trauern. Viele von den unbekannten Menschen, die im Valle de los Caídos liegen, wurden ohne das Einverständnis der Familien hierher gebracht. Im Geheimen, um Gräueltaten des Krieges zu vertuschen, Massengräber zu leeren.

Jeden Tag um 11 Uhr wird zwischen ihnen eine Messe abgehalten. Für sie machen sich täglich die Jungen aus dem Internat auf der anderen Seite des Kreuzes durch einen langen Tunnel auf den Weg, um als Knabenchor die Messegänger zu begeistern. Bis zu 50 Jungen zwischen 9 und 14 Jahren kann die Schule am Fuß des Kreuzes auf der anderen Seite aufnehmen. Sie werden religiös und musikalisch erzogen, spielen Fußball auf einem kleinen Bolzplatz im Schatten des 152 Meter hohen Kolosses, im Schatten der aufgearbeiteten Geschichte Spaniens.

Verwaltung des faschistischen Ortes übernehmen Benediktinermönche

Gegenüber von der Schule befindet sich ein weiteres großes Gebäude. Ein klösterliches Hotel, wie es auf dessen Webseite heißt, mit insgesamt 120 Zimmern, viele mit Ausblick auf das letzte faschistische Monument Europas. „Die Hospedería Santa Cruz wird gern als spiritueller Rückzugsort von Gruppen genutzt“, erklärt der Hausmeister der Unterkunft, der sich als längerer Arm der Benediktinermönche versteht. Sie sind es, die für das gesamte Valle de los Caídos verantwortlich sind und selbst in einem kleinen Kloster neben dem Internat leben. „Außerdem kann man hier Hochzeiten, Kommunionen und Geburtstage veranstalten“, meint der Verwalter mit der spanischen Flagge am Arm weiter. Und in der hauseigenen Bibliothek mit etwa 20.000 Exemplaren befinden sich auch die Unterlagen zu den Menschen, die nur wenige Meter entfernt begraben liegen.

Als Besucher des Valle de Cuelgamuros reiste man bisher an eine Art weißen Fleck auf der Landkarte. Nicht eine einzige Infotafel weißt auf die dunkle Vergangenheit dieses Ortes hin. Nirgendwo wird erwähnt, dass dieses größenwahnsinnige Monument von etwa 20.000 republikanischen Gefangenen errichtet wurde, dass ihnen eine Verkürzung ihrer Haftstrafe angeboten wurde, um sich hier abzurackern. Es wird nicht erwähnt, dass über 100 Familien seit 12 Jahren versuchen, die Überreste ihrer getöteten Angehörigen zu exhumieren, um sie zusammen mit ihren Lieben begraben zu können. Keine Hinweistafel erklärt, dass sich mitten unter der imposanten Kuppel der Basilika, die ein wenig an die der St. Pauls Cathedral in London erinnert, das Grab vom Gründer der spanischen faschistischen Partei Antonio Primo de Rivera befindet. Direkt neben ihm lag bis vor kurzem noch der Erbauer des Valle de los Caídos selbst – Francisco Franco.

Neues Gesetz zur Auseinandersetzung mit Vergangenheit

Seit der Exhumierung des Diktators im Jahr 2019 und seiner Bestattung auf einem Friedhof in El Pardo, am nördlichen Stadtrand Madrids, versucht die Partei PSOE den prominenten weißen Fleck, aber auch all die anderen weißen Flecken in der Geschichte Spaniens durch rot unterstrichene zu ersetzen. Das 2007 ebenfalls von PSOE verabschiedete Gesetz Ley de memoria histórica (Gesetz des historischen Andenkens) wurde nun unter Pedro Sánchez überarbeitet und ausgeweitet. Seit Oktober 2022 werden die neuen Punkte unter dem abgeänderten Namen der Ley de memoria democrática (Gesetz des demokratischen Andenkens) entgegen der Meinung der konservativen Partei PP, den liberalen Ciudadanos und der rechten Partei Vox umgesetzt. Endlich sollen Infotafeln im Valle de Cuelgamuros aufgestellt werden, ein Dokumentationszentrum ist geplant und die lange bewahrte Verbindung von Kirche und Faschismus soll mit dem Auszug der Benediktinermönche aus dem Kloster im Tal wird gelöst.

Zum ersten Mal in der Geschichte Spaniens bekommen Opfer das Recht eingeräumt, verübte Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen zwischen 1936 (Beginn des Bürgerkriegs) bis zur Einführung der Spanischen Verfassung 1978 zu verfolgen. Verurteilungen während der Diktatur sollen annulliert werden und die Suche nach Vermissten wird ab jetzt Teil der Aufgabe der Regierung. Straßennamen, die noch immer an die spanische Diktatur erinnern, sollen abgeändert werden und die Rechtfertigung des Franquismus, wie es beispielsweise die Stiftung Francisco Franco tut, wird offiziell verurteilt.

Es sind Schritte zu einer Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, einer Distanzierung zu den passierten Gräueltaten, um nach vorne zu blicken und viele der Konflikte im Land endlich beizulegen. Solange die konservative Partei PP jedoch diese Art von Gesetzen als ein „Aufreißen längst geheilter Wunden“ bezeichnet, wird dies mehr als schwierig werden und die Besucher des Valle de los Caídos müssen vielleicht noch lange auf die erklärenden Infotafeln warten.

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